Musik | Hörtest

Audio88 & Yassin – Todesliste

1. April 2021
von Benjamin Kübart

Achtung, auch du stehst auf einer Todesliste! Überrascht? Das Hip-Hop Duo Audio88 & Yassin sicherlich nicht, denn irgendwie haben sie uns alle auf ihre Liste gesetzt.

Ihr letztes gemeinsames Album Halleluja unter dem eigens gegründeten Label Normale Musik konnte bereits mit aggressiv-sarkastischen Fronts in Battlerap-Manier und eingängigen Tracks über die Kirche, den Umgang mit Geflüchteten, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus überzeugen.

Mit Todesliste folgt das härteste Werk der Wahlberliner, die ihrem Sound und Stil weitestgehend treu bleiben. Ganz ohne kryptisches Gefasel oder durch-die-Blume-reden bleibt ihr Deutschrap aggressiv, fordernd und dabei durchdacht. Keine blinde Wut, sondern zielgerichtete Kritik an gesellschaftlichen Themen ist angesagt. Denn vielleicht gerade, weil der Release inmitten eines dystopischen Schmelztopfes namens „Pandemie“ liegt, gibt es besonders viel abzurechnen.

Der erste Sound des Openers Schlechtes Gewissen bäumt sich auf wie eine Warnsirene und fügt sich in den atmosphärisch-bombastischen Beat ein. Nur kurze Zeit später fliegt die Catchphrase „manchmal helfen Schellen“ (aus dem Album Halleluja) wie ein altbekannter Insiderwitz durch den Raum.  Wer die Beiden kennt, weiß, dass sie spätestens jetzt wieder da sind. Wer glaubt, dass nur die Abarbeitung der eigenen Diskografie im Vordergrund steht, ist allerdings auf dem Holzweg.

Auf eine Liste gehören Namen. Und die werden, wo es der gesetzliche Rahmen zulässt, genannt. Namedropping ist für Audio88 & Yassin meist kein Problem, solange die genannten Personen in der Öffentlichkeit stehen. Während Audio88 in Plus 1 von einem „Sturzflug in das Haus von Alice Weidel“ rappt, übertönen Soundeffekte manche Namen ganz oder teilweise. Ob es sich beim genannten „Dieter“ um einen bekannten Kabarettisten handelt, ist so nur Interpretationen überlassen.

In nahezu allen Titeln besteht das Feindbild aus den neuen Rechten, aber auch aus der schweigenden Masse. In Lauf geben der aggressive Trap-Beat und die wütenden Lines dazu den Ton an, aber auch die Inszenierung von Teilnehmern im Reality TV kriegt in Vater Mutter Kind ihr Fett weg.

Intimer und gemäßigter wird es in Freunde, wenn Audio88 & Yassin vertrauensvoll von toxischen Freundschaften berichten und der Tracklist mit einem LoFi-Beat viel Kontrast bescheren. Auch in dem düsteren Song Cottbus verarbeitet von Audio88 persönliche Erlebnisse mit Rechtsextremen.

Besonders eingängig ist die Singleauskopplung Garten mit einer Feature-Hook von Nura. Drei weitere Gastauftritte sind auf dem Album, aber nicht als Feature auf der Tracklist, zu finden. Die sollen nicht nur Überraschung mit sich bringen, sondern auch ein Anreiz dafür sein, das Album für die Credits physisch auf CD oder Vinyl zu kaufen.

Auf dem letzten Titel des Albums Ende in Sicht ist Yassin allerdings allein zu hören. Der LoFi-Beat beginnt mit Klavierakkorden, Yassin rappt und singt ruhig. Daraus erwächst ein klanglicher Ausreißer, dem ein gelungener Abschluss mit melancholischer Grundhaltung gelingt. Auf der einen Seite sind wir uns der eigenen privilegierten Lebensweise bewusst, auf der anderen wissen wir, dass damit die Umwelt und der Planet zu zerstört wird. Und als wir uns gerade in Mittäterschaft wiederfinden, macht Yassin uns klar: „Auf der Todesliste stehen noch 8 Milliarden Namen“.

Am Ende ist Todesliste ein Album für alle, die auf Hip-Hop mit ehrlichen Texten stehen. Denn lyrisch ist das, was Audio88 & Yassin hier abgeliefert haben, erstklassig. Sich nur von politischen und gesellschaftskritischen Texten berieseln zu lassen, reicht allerdings nicht aus. Und überhaupt: Die Musik zeigt die Probleme, lösen müssen wir sie selbst.

Bild: Audio88 & Yassin / Normale Musik